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„Jetzt reicht es schön langsam“ – Replik auf den FB-Eintrag von Herbert Haiszan

Lieber Herbert,

Wir kennen (und ich darf hoffentlich auch sagen „schätzen“) einander seit mehreren Jahrzehnten. Alle paar Jahre treffen wir einander zufällig in einer Eishalle oder haben sonst einen Anlass miteinander zu telefonieren. Letzten Sonntag wurde mir von einem Bekannten (facebook ist nicht so meins) Dein dortiger Eintrag zum aktuellen sehr brisanten Thema „sexuelle Gewalt“ im Sportbereich übermittelt.

Und abgesehen von Deiner – Dich sonst positiv auszeichnenden Emotionalität – bin ich in diesem Punkt ganz und gar nicht einer Meinung mit Dir:

Ich gebe Dir Recht, dass es früher usus war, junge Spieler, die in die Kampfmannschaft gekommen sind, durch gewaltvolle Rituale – meist in einer pervers sexuellen Form – zu begrüßen. Genauer gesagt, unterwürfig zu machen. Was war der Hintergedanke? Die neuen, oft überambitionierten und frechen Grünschnäbel sollten von Anfang an sofort erkennen, dass sie sich der internen Teamhierarchie zu fügen haben. Hat das Ganze funktioniert? Naja, schwierig zu beurteilen. Hast Du von diesen Ritualen psychische Schäden davongetragen? Vielleicht nicht. Aber kannst Du ausschließen, dass andere, weniger selbstbewusste, Spieler diese Aktionen genauso locker weggesteckt haben? Sind diese „Wappler“, wie Du sie nennst, nicht schützenswert? Steht es uns zu, deren ärztliche und juristische Vertrauenspersonen mit einem kurzen Eintrag derart in Misskredit zu bringen?

Lass mich Dir die Geschichte von meiner ersten Saison in der Kampfmannschaft erzählen:

Ich war 15 Jahre alt, als mich der sportliche Leiter der Nationalliga-Mannschaft des EC Stadlau, Erich Auer, anrief und mitteilte, dass ich für die kommende Spielzeit im Kader der „Ersten“ sei. Was für eine Ehre. Der Verein, für den ich seit knapp sieben Jahren tätig war, hatte tatsächlich Interesse daran, mich in der Nationalliga einzusetzen. Und zu meinem Glück durften gleich drei weitere Mitspieler mit mir den Sprung von der Schüler-  in die Kampfmannschaft wagen. Die Brüder Roland und Reinhard Divis sowie auch noch Niki Stockhammer, jüngerer Bruder von Ex-SKY-Experten Günther Stockhammer.

Wir trainierten den ganzen Frühling hart, um im Herbst dann auch tatsächlich einen Part im Team des damaligen Trainers Jan Filc spielen zu können.

Meine Rückennummer 22 war schon vergeben und Geld für neue Dressen war nicht vorhanden. So erhielt ich ein Trikot mit der Rückennummer 16. Wem das in der Vorsaison gehört hat? Ja genau, es war Dein Leiberl. Ein wenig zerrissen und meine Mama war so nett, es zu Hause zusammenzuflicken. Mir war egal, welche Nummer das Trikot hatte, mir war völlig egal, was hinten alles draufstand. Für mich war einzig und alleine wichtig, was vorne draufstand:

EC Stadlau, blau-weiß-rot. Ich war ein Teil davon. Mein Traum wurde wahr. Denn ich hatte nie das unbedingte Ziel, irgendwo Profi zu werden, sondern ich wollte für Stadlau spielen, egal in welcher Liga.

Die ersten Testspiele absolvierten wir in der damaligen CSFR. Ein langes Wochenende mit Übernachtung. Natürlich hatten wir Youngsters von dem einen oder anderen Ritual gehört gehabt und natürlich hatten wir ein wenig Angst. Da waren einige bekannte Rauhbeine im Team wie Silvester Staribacher, die Brüder Christian und Peter Heinrich (Vater von RBS-Verteidiger Dominique) oder auch Tommy Seidl, ein Gegenspieler der unangenehmeren Sorte (auch im Training). Und ja es kam zum Aufnahme-Ritual. Und zwar zu einem beinharten. Wir mussten mit all den Erwachsenen am Abend nach dem ersten Spiel in die nächstgelegene Bar mitgehen und uns auf alle verfügbaren Getränke einladen lassen und mit den großen Jungs so richtig mittrinken. Es war ein sensationeller Abend, wir hatten Spaß ohne Ende. Spätestens am nächsten Morgen hatten wir das Gefühl, dazuzugehören. Zu jenen Spielern, die wir wenige Monate davor noch in der Donauparkhalle von den Stehplätzen aus angefeuert haben.

Und wir sollten Recht behalten. Bereits am selben Abend spielten wir wieder irgendwo gegen irgendwen ein Match. Gegner, Ergebnis, Tore, … alles längst vergessen. Was ich nicht vergessen habe? Dass es zu einer Rauferei gekommen ist und ich – Raufen war halt so echt nie meine Stärke – von den vorhin genannten Typen verteidigt worden bin. Diese Erwachsenen sprangen in die Bresche, um mir jungen Scheisser beizustehen, mir zu helfen und um mich aus dem Gemetzel rauszuziehen. Und so lief es das ganze Jahr. Was die Stockhammers, Staribachers und Heinrichs aber auch sofort erkannt hatten, war unser bedingungsloser Einsatz für das Team, wir trugen alle Stöcke zum Bus, sammelten brav die Scheiben und erledigten auch sonst alle Aufgaben, die den Rookies zukamen. Es war – trotz nur überschaubarer sportlicher Erfolge – ein wundervolles Jahr, welches mir wirklich Lust auf mehr Eishockey machte. Und in all den Jahren, in denen ich später auch oft ein A oder ein C auf der Brust tragen durfte, war es immer klar, dass wir Neue/Junge so aufnehmen, dass sie sich im Team wohl fühlen und nicht ihren Willen mit pseudo-militärischen Ansätzen zu brechen.

Wir sprechen immer von Teamspirit und Zusammenhalt in einer Kabine. Aber wie soll ein solcher auf ehrliche Art und Weise entstehen, wenn ich all die Regeln in einem Team lediglich deshalb beachte, weil ich Angst vor Schlägen oder sonstigen körperlichen Züchtigungen habe?

Wäre das Ganze nicht einfacher zu erreichen, indem ich positive Akzente setze? Was mir hier meine Erziehung und auch meine Lebenserfahrung sagt, habe ich Jahre später auch in meiner Trainerausbildung gelernt.

So wird auch kein Trainer, der seine Spieler versucht mit Angst zu motivieren, dauerhaft Erfolg haben. Angst funktioniert nur für einen vorübergehenden Zeitraum. Das sagen PsychologInnen unabhängig, ob sie dafür Geld erhalten oder nicht. Und das ist – unabhängig von diesen echt perversen Praktiken – für mich der einzig gangbare Weg.

Und nur, weil es früher so war und sich keiner drüber Gedanken gemacht hat, heißt es doch nicht, dass es deshalb auch gut war. Früher musstest Du als Eishockeyspieler auch keinen Helm tragen und ja, es sind deshalb nicht alle Spieler vom Puck getroffen worden, aber ich finde einfach, dass wir – auch wenn Du und ich ohne Schäden davongekommen sind – trotzdem gegenüber jenen, die über solche Missstände nun sprechen, eine Verpflichtung haben, sie zumindest nicht zu diskreditieren und ihren Mut, hier an die Öffentlichkeit zu gehen, nicht als Schwäche auszulegen und sie vom Opfer zum Täter zu machen.

In diesem Sinne hoffe ich, einen von Dir angeregten Diskussionsbeitrag geliefert zu haben.

Bis bald, Sascha