Heute wäre Semifinale IV – ich schreibe lieber über Gary Venner

Er war der Inbegriff des coolen Kanadiers. Ich war damals vielleicht 14 Jahre alt, als Gary in Wien für den WEV auf Torejagd ging. Er war nicht besonders groß, aber so ein wilder Hund auf dem Eis, einer der in der Halle in den Kabinengängen aber auch uns Kids immer freundlich grüßte und einen Schmäh auf den Lippen hatte. Wir Jugendliche mochten ihn.
Meine erste coole NHL-Bomber-Jacke (damals aus irgendeinem Grund von den Rangers und nicht von den Oilers) kauften meine Eltern über Gary ein, der damals schon seine Geschäftstüchtigkeit unter Beweis stellte und NHL-Ware aus Kanada einfliegen ließ, um sie in Wien zu verkaufen. Geschäftssinn hatte er damals schon!
Das erste Mal wieder so richtig gesehen habe ich Gary dann als Experte beim damaligen Hockey-Broadcaster Premiere (heute SKY), als er die österreichische Position von Rick Amann einnahm und von Anfang an die ZuseherInnen begeisterte. Dies nicht nur aufgrund seines sympathischen austro-kanadisch-Deutsch und der unzähligen englischen Fachbegriffe, die er mit dem nötigen Schmäh in seine Analysen einbaute. Da war noch viel mehr. Selbstbewusstsein vor der Kamera ohne überheblich zu sein. Gary war auch hier im Fernsehen immer der Kumpel-Typ von nebenan.
Everybody’s Darling. Generationenübergreifend. Meine Eltern mögen ihn, ich mag ihn, meine Tochter findet ihn super und auch all meine eishockeyaffinen Verwandten stehen auf den netten Kanadier.
Ich schaute damals – wie auch heute – sämtliche Übertragungen und wenn mir Gary in der Halle mal persönlich über den Weg lief, plauderten wir kurz. Und dann kam die erste gemeinsame Saison bei ServusTV. Das Kuriose an unseren Jobs als Experte ist, dass wir zwar alle als Team arbeiten, wir Experten einander jedoch – vor allem wenn nur einer eingeteilt ist – oft monatelang kein einziges Mal persönlich treffen. Man arbeitet mal mit dem einen Moderator, mal mit einem anderen. Ebenso bei den Field-Reportern oder den Kommentatoren. Da kommt es somit zu regelmäßigen Zusammenkünften im Wochen-Rhythmus.

So hatte ich den ersten Kontakt mit Gary erst irgendwann im späten Herbst 2010, nach vielen Runden und ebenso vielen Sendungen der Servus Hockey Night. Gary rief mich an und gratulierte mir zu meinen ersten Auftritten: „Hey Sascha, Du machst das super! Ganz ehrlich? Du machst das besser als ich, obwohl Du noch ein Rookie bist und ich das Ganze schon so viel länger mache.“ Man kann dazu jetzt stehen, wie man will. Es geht mir auch überhaupt nicht darum, wer von uns beiden besser ist. Dazu sind Gary und ich schon viel zu unterschiedlich in unserem Auftreten.
Aber wer bitte ruft einen Kollegen (und im entferntesten Sinn auch ein wenig Konkurrenten) an, und teilt ihm mit, dass er ihn richtig toll findet?
Ich kenne sonst niemanden. Und genau deshalb erzähle ich es an dieser Stelle, um Gary auch den wenigen Menschen näher zu bringen, die noch nicht das Vergnügen hatten, ihn persönlich kennen zu lernen. Immer bescheiden, aber auch so selbstbewusst, dass er weiß, es fällt ihm kein Zacken aus der Krone, wenn er jemand anders ebenfalls lobt.
Zeit mit Gary zu verbringen, bedeutet zumeist ganz viel Spaß zu haben. Es dauert nur wenige Sätze, bis eine oarge Meldung fällt. Alles leiwand. Alles immer an der inhaltlichen Oberfläche.
Zeit mit Gary zu verbringen, bedeutet aber auch, ernsthafte Gespräche zu führen. Über unsere Jobs, über unsere Familien, über Zukunftspläne, über Zukunftsängste. Mit Gary kann man über alles reden. Er ist so viel tiefgründiger als er auf den ersten Blick oder auch im Fernsehen wirkt.
Auch als er bereits den Weg von der Servus Hockey Night zurück zu SKY gefunden hatte, blieben wir im üblichen losen Kontakt. In den Playoffs kam es dann – wenn nur mehr eine Serie zu spielen war – zu gemeinsamen Übertragungen der beiden Sender. Wir traten beide mit eigenen Studios und Kommentatoren an und somit ergab sich ein paar wenige Male wieder die Gelegenheit mit Gary wie in früheren Zeiten eine Fahrgemeinschaft zu bilden. Und ich genoss jede Minute.

Wir plauderten stundenlang, Gary erzählte von seinen Treffen mit Jaromir Jagr oder Alex Ovechkin und deren doch recht aufregenden Privatleben – unterbrochen nur durch Anrufe von Eishockeyberühmtheiten wie zB Igor Larionov, der mit Gary über ein Projekt sprechen wollte.
Da saß ich also am Beifahrersitz und hörte über die Freisprecheinrichtung Igor Larionov live reden und mit Gary verhandeln. Hallooo?! Igor Larionov. Ja, genau der Igor Larionov.
Gary hat einfach so viele Geschichten aus der Eishockeywelt in seinem Repertoire, dass ich mal kurzzeitig angedacht habe, ein Buch darüber zu schreiben, nachdem ja schon das erste Werk, an dem ich als Herausgeber mitarbeiten durfte, guten Anklang in der Hockeyszene gefunden hatte. (Dieses Projekt ist übrigens noch nicht ad acta gelegt – es bleibt nur mangels anderer Verpflichtungen vorerst mal mein Hirngespinst).
Und wenn Gary gerade keine Geschichten erzählt, ist er für die gerechte Verteilung von Essen im Auto zuständig. Was ich damit genau meine?
Da müssen wir zurück in die Playoffs 2011. Die bis heute letzte Derby-Serie zwischen KAC und VSV. Nach einem Match in Klagenfurt fuhren Gary, Michael Knöppel, Werner Sejka und ich noch zu einem bekannten amerikanischen Fastfood-Anbieter, um uns für die nächtliche Heimfahrt bestens zu auszurüsten. Im Lokal selbst waren lustigerweise noch ein paar Villach-Fans, die scheinbar auch Angst hatten, den langen Heimweg aus der Landeshauptstadt ohne genügend Proviant antreten zu müssen.
Als sie uns Vier mit unseren Servus Jacken eintreten sahen, war relativ schnell klar, wen von uns sie kannten und vor allem wen von uns sie schätzten. Sejka, Knöppel und Tomanek konnten unbehelligt ihr Essen bestellen, während der Vierte im Bunde mit „Gary-Venner-Eishockeygott“-Sprechchören abgefeiert wurde und sich von allen umarmen und abbusseln lassen durfte. Das ist dann der Moment, in dem sich der geneigte Leser selbst ein Bild machen darf, wie weit man in Eishockeyösterreich berühmt sein möchte.
Aber ganz ehrlich? Für solch einen Empfang lässt man sich (außer in Corona-Zeiten) auch gerne mal abknutschen.
Aber zurück zur Essensverteilung: Nachdem wir unser Essen ausgefasst hatten, stiegen wir alle wieder zu Gary ins Auto, Michael saß vorne, Werner und ich auf der Rückbank. Gary hatte damals so einen familienfreundlichen Dienstwagen, mit ausklappbaren Mini-Tischen für die Mitfahrer in der hinteren Reihe. Fast wie im Flugzeug. Werner und ich machten es uns bequem, richteten unser Menü schön her und hatten noch nicht mal den ersten Bissen genommen, als Gary kurz nach Schloss Mageregg die Abfahrt zur A2 versäumte und ich ihn (obwohl ich selbst ja die Strecke über den Semmering bevorzuge) dezent darauf hinwies.
Die Folge war, dass Gary einfach mal voll in die Eisen stieg, den schon ganz gut beschleunigten Wagen nicht nur recht schnell auf Null runterbrachte, sondern fast gleichzeitig den Retourgang einlegte und wir die paar Meter zurück zur Abfahrt in einem Tempo rückwärts fuhren, welches anderen Autofahrern, selbst vorwärts vielleicht etwas zu schnell gewesen wäre.
Man kann sich vorstellen, was diese Aktion mit dem soeben erst hergerichteten Essen anstellte?
Burger konnten teilweise gerettet werden, Getränke waren aufgrund der Deckel bedingt geschützt – aber die Pommes …
Wir sammelten die Essensreste im ziemlich dunklen Auto so gut es ging ein. Aber als Gary seinen Wagen im Sommer darauf zurückgab und es zur Endreinigung kam, wurden immer noch Reste von diesem legendären Klagenfurt-Ausflug gefunden. Gary Venner rocks!