Wir alle kennen die Sprüche über die Play Offs. Wir bezeichnen diese entscheidende Phase der Meisterschaft regelmäßig als die „beste Zeit“ im Jahr. Zu Recht, denn schließlich lieben wir alle Entscheidungen: Im Leben wie auch im Sport. Das bringt Emotionen und Begeisterung, lässt Adrenalin bei Spielern, Fans und natürlich auch bei uns Medienvertretern frei werden und in weiterer Folge unseren Blutdruck bis zum oft Unerträglichen ansteigen. Tja, die Play Offs – the best time of the year.
Ich schreibe heute aber über eine ganz andere Zeit, Ich schreibe über die ersten Tage im August. Warum? Naja, einerseits, weil es gerade Anfang August ist und andererseits, weil wohl nur die wenigsten Interessierten sich mit dem „Dahinter“ des Trainingsstarts eines Hockey-Teams schon mal beschäftigt haben. Und jedes Jahr, wenn ich irgendwo in einer Halle in Österreich einen Kurzbesuch mache, werden Erinnerungen wach. Erinnerungen an meine eigene Karriere und dieses ganz bestimmte Gefühl im Sommer in einer Eishalle.
Draußen herrscht zumeist noch herrliches Badewetter, man betritt die Arena durch einen Hintereingang, in Flip Flops und Shorts. Drinnen ist es im ersten Augenblick erfrischend kühl. Dann geht’s in Richtung Kabine. Man trifft einen Eismeister, den einen oder anderen Vereinsmitarbeiter, vielleicht einen Nachwuchstrainer. Und dann im Kabinengang vernimmt man schon den an sich unangenehmen Geruch der Ausrüstung.
Jene Düfte, die man ja während der Saison gar nicht mehr registriert. Jenen Gestank, den man auf den Meisterfotos und Videos der Feierlichkeiten im Frühling nicht mitbekommt.
Und dann ist man auch schon drinnen im locker room. Man begrüßt die Betreuer, Masseure, etc, auch die altbekannten Kollegen aus der Vorsaison, natürlich auch die neuen Cracks, die man vielleicht ja schon kennt, vielleicht auch noch nie gesehen hat. Es herrscht meist recht hektisches Treiben, weil jeder Spieler irgendein Problem mit seiner neuen Ausrüstung hat, entweder passt was nicht, muss was geändert werden, sind Gegenstände (oftmals Schläger) nicht rechtzeitig geliefert worden. Man richtet sich seinen Platz ein und alle sind irgendwie noch in der lockeren Sommeratmosphäre, erzählen von (gemeinsamen) Urlauben, Partys oder von Höchstleistungen in der Kraftkammer von Spielern anderer Teams, mit denen sie im Sommer gemeinsam trainiert haben.
Aber trügt diese coole, lockere Sommerstimmung nicht ein wenig? Es liegt irgendwas in der Luft. Und damit meine ich jetzt nicht den oben erwähnten Gestank einer Kabine. Es herrscht eine gewisse Anspannung. Das erste Spiel ist zwar noch recht weit entfernt. Nichtsdestotrotz spürt man, dass es ernst wird. Das Spannende dabei: Keiner will es sich anmerken lassen. Eishockeyspieler sind coole Hunde, die nie im Leben eine Schwäche zeigen würden. Es wird aber Ernst – nicht im Sinne von Punkten in der Meisterschaft, sondern im Sinne davon, sich selbst zu beweisen. Sich zu behaupten. Seine Position innerhalb der Gruppe zu finden. Das ist einfacher, wenn die Mannschaft über den Sommer unverändert bleibt, ist jedoch schwieriger, wenn sich das Team an vielen Positionen erneuert hat.
Denn hinter all diesen Positionen stecken Menschen, stecken Persönlichkeiten mit eigenen Interessen.
Jedes Jahr im August startet die Neuordnung der internen Hierarchie. Natürlich dringen diese internen Prozesse nie nach außen. In Interviews freut man sich brav über den Start der Saison, über die so netten und tollen neuen Kollegen, über die interne Konkurrenz, die einen noch besser machen soll. Bla bla bla.
Tatsächlich geht es aber von der ersten Sekunde – auch schon in der Kabine – darum, seinen Platz zu finden. Den zum Sitzen, aber vor allem den in der Hierarchie des Teams. Wie will ich wahrgenommen werden und wie werde ich tatsächlich wahrgenommen? Bin ich der große Schmähbruder oder eher schmähstad? Will ich heuer die Kabine mit meiner Musik rocken und dem letztjährigen DJ klarmachen, dass ich das besser kann oder bleibe ich bei den Scheibeneinsammlern am Ende des Trainings? Wird der neue Spieler, mit dem ich mich auf dem Eis seit vielen Jahren nur beschimpft habe, mein Freund oder wird er mich auch im eigenen Team, im Mannschaftsbus oder in der Kraftkammer genau so nerven und ich ihm einfach nur aus dem Weg gehen wollen? Und warum steckt mich der Trainer gerade mit ihm in eine Linie?
Und letzten Endes: Welche Position werde ich spielen dürfen. Und da geht es allen gleich. War ich letztes Jahr Center Nummer 1, dann will ich diese Position natürlich heuer wieder verteidigen. Und mir ist bewusst, dass der neue Center oder aber auch der letztjährige Zweier-Center ebenfalls auf meiner Position spielen möchte.
In meinen jungen Jahren war es meist die andere Richtung, jene von unten rauf. Ich hatte mich im Laufe der Vorsaison gegen irgendwelche Neuverpflichtungen von der vierten Linie (die damals überhaupt keine Eiszeit erhielt) in die dritte hochgearbeitet. Dann kam der Sommer und das eigentliche Ziel, es vielleicht einmal in die ersten beiden Reihen zu schaffen (denn auch die dritte Reihe erhielt nur überschaubare Eiszeit), wurde bereits am ersten Trainingstag brutal zerstört. Es kamen einerseits wieder Neue von außen, von denen sich der Verein viel versprach und andererseits kamen auch wieder jene – älteren und jüngeren – Spieler, die ich eigentlich längst überholt hatte und wollten wieder in den Kader, hofften auf ihre neue Chance.
Und garantiert tauchte auch jedes Jahr am ersten Trainingstag ein junger Spieler aus Kärnten oder sonstwoher auf, den ich nicht einmal kannte und der sich über einen Try-Out Vertrag ins Team spielen wollte und der dann auch – damit man ihn testen konnte – gleich viel mehr Eiszeit erhielt.
Das gehörte einfach dazu. Immer wieder tauchte ein neuer Konkurrent auf, muskulöser in der Kabine, schneller auf dem Eis, härterer Schuss. Die sogenannten Trainingsweltmeister, die jeden Trainer (und Mitspieler) auf den ersten Blick beeindruckten, weil sie eine gute Basis-Ausbildung hatten. Und da in den Trainings in den ersten Wochen noch nicht so viel gespielt wurde, konnten diese Cracks oft blenden. Spielintelligenz, Defensivverhalten oder Torgefährlichkeit im Match sind halt in diesen Trainings nicht so gefragt. Aber es musste doch einen Grund geben, warum dieser Spieler trotz seiner offensichtlich tollen Qualitäten nirgends anders einen Vertrag bekommen hatte oder umgekehrt bei all seinen bisherigen Teams nicht verlängert und zum Wandervogel wurde.
Warum sah das mein aktueller Coach nicht gleich so wie ich? Warum ließ man den neuen, noch nicht einmal verpflichteten, Spieler aufs Mannschaftsfoto (wo sich dieser dann zumeist auch gleich gut erkennbar in die vorderen Reihen drängte)?
Damals verstand ich das alles nicht. Ich war der Meinung, dass mir eine gewisse erreichte Position nun auch längerfristig „zustand“. Ich fand es ungerecht, jeden Tag aufs Neue wieder beweisen zu müssen, was ich doch schon bewiesen hatte.
Mit meiner heutigen Erfahrung weiß ich natürlich, dass es im Sport keine Garantien gibt und man sich täglich neu beweisen muss. Und auch die besten Spieler immer wieder die besten Spieler sein müssen, da sie sonst relativ bald ausgetauscht oder innerhalb der Aufstellung zurückgereiht werden. Frei nach dem amerikanischen System, dass die größtmögliche Konkurrenz Dich auch zum bestmöglichen Spieler macht. Ständiger Druck und ständige Angst um Deinen Job/Deine Position sollen Dich so weit bringen, das Beste aus Dir herauszuholen und somit auch das Team so stark wie nur irgendwie möglich spielen zu lassen.
Dieser Ansatz hat sich mittlerweile durchgesetzt und ich verstehe und respektiere ihn auch. Ich weiß, dass ich damals zu weich und zu sensibel war und jede Herabstufung durch den Trainer, jedes Mal, wenn ich ein „schlechtes“ Leiberl erhalten habe, mich viel zu sehr zum Nachdenken und in weiterer Folge auch immer wieder zum Resignieren gebracht hat.
Diese Schwäche darfst Du Dir aber im Profi-Sport nicht erlauben. Ich erinnere mich vergleichbar an die Geschichten von Christoph Brandner über das Trainingscamp der Minnesota Wild, als er Konkurrenten, die ausgemustert wurden, von seiner eigenen persönlichen Liste strich. Auch Brandy war da ähnlich gepolt wie ich, immer mit sehr vielen Selbstzweifel, immer sich selbst hinterfragend. Ganz anders zum Beispiel als Ex-Torhüter Reinhard Divis. Der wusste – wie auch Oliver Setzinger – immer um seine Stärken und ließ sich auch nicht durch immer neue Kontrahenten beirren.
Aber zurück in die Kabine. Du sitzt also im August mit all diesen nach individuellem Erfolg gierenden Cracks, scherzt mit ihnen und versuchst, mit ihnen zu einem Team zu wachsen, den Imports zu helfen, sich in der Stadt zurechtzufinden, den Spielern aus anderen Bundesländern, das Einleben am neuen Wohnort zu erleichtern. Einladungen zum Grillen, gemeinsames Fortgehen.
Aber der Gedanke, jemanden beim Einrichten der Wohnung zu helfen, während Du zeitgleich auf dem Eis versuchst, ihm seinen Job (samt der Vereinswohnung) wieder wegzunehmen und umgekehrt, erfordert schon einen zumindest bedingt schizophrenen Zugang zum Profi-Leben.
Die Balance und die Herausforderungen im Mannschaftssport. Mit dem Team so gut wie möglich zu sein, sich für seine Mannschaftskollegen aufopfern, in Schüsse schmeißen. Umgekehrt aber Training für Training gegen genau dieselben Kollegen anzutreten und besser zu sein als sie. Kräfitger in der Kraftkammer, lauter in der Kabine, schneller auf der Laufbahn und vor allem treffsicherer auf dem Eis, wo es letztendlich am meisten zählt.
Während der Saison beruhigen sich aufgrund der vielen Spiele und der dann bereits gewachsenen Hackordnung diese Grabenkämpfe wieder ein wenig. Aber der August, wenn Du noch keine Außenfeinde hast, der August, das ist schon eine ganz spezielle Zeit im Jahr eines Eishockeyspielers.